Bremen einen Schritt vor – Hamburg einen zurück?
Vergangene Woche hatte der CSC-HH zur Diskussion der Frage „Wie Legalisieren?“ den Hamburger Justizsenator Dr. Till Steffen, sowie den Strafrechtler Prof. Dr. Lorenz Böllinger, Georg Wurth vom Deutschen Hanfverband und Stephanie Dehne die gesundheitspolitische Sprecherin der regierenden SPD-Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft, auf das Podium in der Großen Freiheit 36 geladen. Frau Dehne musste wegen Erkrankung leider kurzfristig absagen. Die Veranstaltung war gut besucht und hat auch bei den anschließenden Gesprächen auf der Straße viel gutes Feedback, auch von zahlreich vertretenem Fachpublikum bekommen.
BILD Hamburg, Mai 2016 BILD Hamburg, Juli 2016
Die Veranstaltung war nicht der Pro & Contra Debatte gewidmet, sondern sollte beleuchten wie konkrete Probleme, auch unter gegebener Gesetzgebung angegangen werden können, welche Schritte hin auf eine Regulierung und eine unideologische, friedliche Drogenpolitik auf Landesebene möglich sind und welche Schritte zu einer Neuausrichtung auf Bundesebene sinnvoll und aussichtsreich sein können.
„Dass eine solche Runde nicht langweilig werden würde, war mir klar,“ resümiert der CSC-HH Vorsitzende und Moderator Andreas Gerhold im Anschluss, „auf die heute zusammengetragenen Erkenntnisse und Möglichkeiten werden wir aber noch des öfteren zurückgreifen können. Besonders freut uns natürlich, dass unsere Forderungen an die Hamburger Landesregierung, beim Senator im Zweifelsfall nur auf Verständnis, bei den Experten aber sämtlich auf Zustimmung und Unterstützung gestoßen sind. Wir profitieren direkt, in dem wir nun auch fundiert belegen können , dass und wie etwas, wie z.B. Entkriminalisierung des Eigenanbaus oder die Abschaffung der „Ersatzbestrafung“ durch Führerscheinentzug, auf Landesebene möglich ist.“
Die Debatte war im letzten Jahr beherrscht von der Frage „Bekommt Kreuzberg einen Coffee-Shop?“. Wir berichteten mehrfach. Viele Städte und Gemeinden in ganz Deutschland verfolgten im eigenen Interesse den Antrag des Berliner Bezirks sehr aufmerksam und wurden enttäuscht als die zuständige Bundesbehörde, das BfArM ( Bundesinstitut für Arzneimitte und Medizinprodukte), mal wieder auf Weisung aus dem Bundesgesundheitsministerium, den Antrag ablehnte. Auch das Bundesland Bremen hatte einen Antrag auf modellhafte Erprobung der Cannabisabgabe bereits beschlossen und musste nun neu überlegen. Im Gegensatz zum rot-grünen Hamburg – das nach zwei Anhörungen im Gesundheitsausschuss Modellprojekte abgelehnt hat: „Sollen erst mal die anderen machen – wir haben Polizei“ – hat das rot-grüne Bremen angekündigt alles auf Landesebene mögliche für einen liberalisierten und gerechten Umgang mit Cannabiskonsum zu tun und gleichzeitig über den Bundesrat einen Anstoß auf Bundesebene geben zu wollen. Das entspricht quasi wörtlich der Formulierung mit der der CSC-HH seine Forderungen an die Hamburger Landesregierung einleitet.
Hier findet ihr den Audiomitschnitt mit ein paar Fotos und einem kurzem Video zum nach hören und ein wenig schauen, viel Spaß.
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Geringe Menge
Gesprochen wurde über die „geringe Menge“, sowohl in Bezug auf bestimmte Personengruppen, wie „Wiederholungstäter“ oder Vorbilder, wie Lehrer, als auch über die Höhe, die Frage der bundesweiten Ein- bzw. derzeitigen Uneinheitlichkeit und, für uns ganz wichtig, über eine straffreie Menge bei Eigenanbau, die alle Beteiligten für wichtig hielten. Der Senator hat versprochen sich für alles einzusetzen, was mehr Rechtssicherheit bringt, was, aus seiner Sicht vor allem die bundesweite Vereinheitlichung betrifft. Aber auch was die Höhe angeht, derzeit liegt Hamburg mit 6g auf bayrischem Niveau, sei er „leidenschaftslos“ – wir wollen das mal nicht missverstehen. Dem Hinweis des Moderators, dass Eigenbedarf ja eigentlich mengenunabhängig sei und er sich, wie ein Weinliebhaber seinen Weinkeller, einen Vorrat an erlesenen Kräutern und Harzen wünscht, konnte der Senator zwar folgen, aber keine Hoffnungen machen.
Auch Georg vom Hanfverband plädierte für eine Erhöhung der „geringen Menge“ und eine Angleichung Hamburgs an Berlin, als Signal, hält letztlich aber die Vereinheitlichung für wichtiger, weil es Bereich zwischen 6g und 10g oder 15g nur noch sehr wenige Betroffene gebe. Der CSC-HH spricht sich für eine deutliche Erhöhung in Hamburg aus und eine Vereinheitlichung auf einer neuen Basis, Für den Eigenanbau können wir uns aber tatsächlich eine Regelung vorstellen, die, ähnlich wie es bereits für Tabak geregelt ist, keine absolute Menge, weder an Pflanzen, noch an Produkt festlegt, sondern den tatsächlichen Eigenbedarf des Anbauers zum Maßstab nimmt.
Führerschein-Praxis
Die bestehende Praxis, dass regelmäßigen Cannabiskonsumenten die Fahrerlaubnis entzogen wird, auch ohne „Rauschfahrten“, hielten alle Teilnehmer für unhaltbar, der Rechtswissenschaftler Prof. Böllinger nannte sie sogar verfassungswidrig. Aber auch hier lässt sich die Verantwortung nicht auf die Bundesebene schieben, das lässt sich auf Landesebene regeln. Bremen will es nun vormachen und wir werden in Hamburg weiter auf Abstellung pochen, unterstützt vom DHV, für den Georg Wurth eine Schwerpunktkampagne mit konkreten Vorschlägen und Forderungen in naher Zukunft angekündigt hat.
Modellprojekte: Politisch tot oder neue Ansätze?
Nach dem Scheitern des Antrags aus Friedrichshain-Kreuzberg auf „kontrollierte Abgabe“ nach BtMG §3 (2) hielten viele diesen Ansatz für politisch tot. Auch im CSC-HH, der schon eine gewisse Grundskepsis gegenüber Modellprojekten, vor allem so wie in Kreuzberg beantragt, mitbrachte, war die Stimmung eher danach, dass es wohl nicht mehr lohnt sich dafür noch weiter ein zu setzen. Dies müssen wir nach dieser Debatte vielleicht noch mal neu und weiter diskutieren.
Böllinger erläutert, dass Bremen mit seiner Bundesratsinitiative erreichen möchte, dass dem Betäubungsmittelgesetz ein §10b hinzugefügt wird, der es den Ländern er ermöglicht selbst über modellhafte Abgabestellen für Cannabis zu entscheiden, wie es bereits in §10a für den Betrieb von Drogenkonsumräumen geregelt ist. Auch Georg Wurth hält es für absurd, dass wir mit der Heroinabgabe und Drogenkosumräumen nun etliche Jahre bzw. Jahrzehnte gute Erfahrungen machen konnten und so etwas für Cannabis einfach nicht gehen soll. Wurth plädiert, wegen der einfacheren Durchsetzbarkeit und der trotzdem davon ausgehenden Signalwirkung für eher kleinere und begrenztere Projekte.
Der CSC-HH hingegen plädiert für offene Modellprojekte, die allen erwachsenen Kunden des Schwarzmarkts niederschwelligen Zugang gewähren sollen, um im öffentlichen Interesse überhaupt einen Einfluss auf den Schwarzmarkt gewinnen zu können. Professor Böllinger löst auf, in dem er dafür plädiert, dass möglichst viele Bundesländer, Städte und Gemeinden möglichst viele unterschiedliche Modellprojekte beantragen sollten. Effektivität, wie der CSC es von einem Modellprojekt erwartet, sollte man aber tatsächlich nicht unbedingt erwarten, es geht um die Signalwirkung. Dass es auch nicht wirklich um Erprobung und Gewinnung von wissenschaftlichen Erkenntnissen gehen kann, macht ein Zuschauer deutlich, der darauf verweist, dass es in den USA ja etliche große „Feldversuche“ liefen, die von zahllosen Wissenschaftlern begleitet würden, für wissenschaftliche Erkenntnisse bräuchte man nur darauf zurückgreifen. Eine Zuschauerin ergänzt mit einem Hinweis auf den großen, langjährigen Erfahrungsschatz in Israel.
Was bleibt, ist die Erkenntnis, Modellprojekte sind politisch noch lange nicht tot, sie werden aber auch keine praktischen Vorteile im öffentlichen Interesse bringen, wie das zurückdrängen lokaler Drogenmärkte – zumindest nicht, wenn es nicht gelingt sie groß und offen genug zu gestalten. Sie werden auch keine wissenschaftlichen Erkenntnisse bringen, die wir nicht auf anderen Wegen einfacher und womöglich fundierter erhalten können. Sie können aber, und das muss man dem Kreuzberger Antrag zu Gute halten, eine Diskussion, einen gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess befördern, wenn die Menschen merken, obwohl hier irgendwo Cannabis frei verkauft wird, geht die Welt nicht unter. Und sie bieten den Ländern, Städten und Kommunen – ausgenommen Hamburger Bezirke – Handlungsmöglichkeiten und Veränderungswillen praktisch zu artikulieren.
Drogenkonsumräume & Drugcheck
Konsumräume und Drugcheck halten alle Diskutanten für lebensrettenden Verbraucherschutz. Während es für Drogenkonsumräume aber Regelungen im Bundesgesetz gibt, die den Ländern Entscheidungskompetenz zubilligt, fehlt dies für Drogentests. Hier sind den Ländern ohne Änderung auf Bundesebene die Hände gebunden.
Drogenprävention an Schulen
Das Thema Prävention wurde auf dieser Veranstaltung nur gestreift, schon weil keiner der Anwesenden hier Auskünfte über die Situation in Hamburg geben konnte. Einig waren sich alle, dass Drogenprävention insbesondere an Schulen wichtig ist, man aber allgemein in Bezug auf illegalisierte Drogen noch zu häufig auf pauschale Verteufelung setzt und absolute Abstinenz fordert, während man z.B. bei der Alkoholprävention erfolgreich auf moderne, risikomindernde Methoden setzt. Während es zu Cannabis heißt, „Sag einfach NEIN!“, raten Jugendkampagnen zu Alkohol „Kenn‘ dein Limit.“. Nach vielen Gesprächen mit Schülern, die sich in der Regel kaum erinnern überhaupt mit Drogenprävention in der Schule zu tun gehabt zu haben, vielleicht mal in einer Projektwoche und uns auch Lehrer berichten, dass es an Ihren Schulen kaum Lehrer gibt, die entsprechende Fortbildungsangebote wahrgenommen hätten, will der CSC-HH sich verstärkt um dieses Thema bemühen. Einen ersten Vortrag zum Thema gab es während der WEEDWEEK.
Die Zusammenfassung kann das Anhören nicht ersetzen. Sehr empfehlen möchten wir auch die sozialpsychologische Betrachtung der Legalisierungsgegner von Professor Böllinger in seinem Schlusswort.
Grußwort an die CDU
Liebe CDU Hamburg, lieber Herr Wersich,
wir freuen uns ungemein, dass wir es geschafft haben innerhalb kürzester Zeit eine solche Relevanz zu erlangen, dass Sie es regelmäßig für notwendig halten sich per Presseerklärung, als Pressestatement oder auch nur im Social-Media zu uns zu äußern. Bisher haben wir Ihnen aber noch nie geantwortet. Bitte werten Sie dies nicht als Unhöflichkeit! Im Gegenteil, haben wir zum Beispiel nicht auf die Äußerung ihres Justiz-Experten Richard Seelmaeker im obigen Artikel der BILD Hamburg aus Mai, in der er nicht nur den Senator für verrückt erklärt, nur weil der mit uns spricht, sondern auch gleich einen konstruierten Zusammenhang von pädosexuellen Straftaten und Cannabiskonsum ins Spiel bringt, nicht reagiert, um weitere, ansonsten notwendig gewordenen Unhöflichkeiten zu vermeiden!
Unsere Veranstaltung, an der selbst Bild am Ende inhaltlich nichts gefunden hat, was sich hätte skandalisieren lassen, so dass „wabernde Hasch-Wolken“ erfunden werden mussten, kommentieren Sie auf Facebook folgendermaßen:
Kiffen gefährdet die Urteilsfähigkeit. Nicht nur das macht den Konsum von Cannabis zu einem gefährlichen Scheinvergnügen. Skandal-Senator Steffen bagatellisiert die Gefahren von Cannabis trotzdem in erschreckender Regelmäßigkeit. Mit seinem Ausflug zum Cannabis Social Club Hamburg verharmlost er die Gefahr von Rauschgift erneut auf unverantwortliche Weise.Völlig unklar ist, warum Rot-Grün es zulässt, dass der Justizsenator die eigentlich zuständige Fachsenatorin Prüfer-Storcks wieder und wieder derart brüskiert, sich auf dem Rücken suchtkranker Menschen profiliert und damit sämtliche Präventionsbemühungen in Hamburg ad absurdum führt. Wenn sich ausgerechnet der für Recht und Gesetz verantwortliche Justizsenator auf ein Podium einer Drogenlobby setzt und den Konsum von verbotenem Rauschgiften toleriert, zeugt dies von einem grotesken Amtsverständnis. Steffen muss seinen Cannabis-Trip endlich beenden.“
Auf Ihre Fachkenntnisse zur Gefährlichkeit von Cannabis möchten wir an dieser Stelle gar nicht eingehen, genauso wenig wie auf Ihre Einschätzung der Justizsenator würde sich in das Gesundheitsressort einmischen, wenn er mit Bürgern und einem Rechtswissenschaftler, z.B. über Praxis und Prioritäten bei Staatsanwaltschaften spricht. Brennend interessieren würde uns aber wie Herr Dr. Steffen, wie überhaupt ein Politiker, unabhängig davon was er sagt, allein durch Gesprächsbereitschaft Drogen verharmlosen und Präventionsbemühungen ad absurdum führen kann?
Wir sind Bürger. Angestellte, Arbeiter, Arbeitslose, Rechtsanwälte, Künstler und Wissenschaftler, Männer und Frauen, Eltern und Großeltern, Urdeutsche, Neudeutsche und Nichtdeutsche – ein Querschnitt der Gesellschaft – und Wähler! Wir fühlen uns von einer bestehenden Gesetzeslage in unseren Rechten beschnitten und zu Unrecht verfolgt und legen dar, dass durch diese, aus unserer Sicht unhaltbare Gesetzeslage großer gesellschaftlicher Schaden entsteht. In einer Demokratie kann und darf man anderer Meinung sein. Das gilt für uns, für Herrn Steffen und natürlich für Sie. Demokratie kann aber nicht funktionieren, wenn demokratische Politiker Ihren Bürgern schon das Gespräch über Ihre Anliegen verweigern und andere dafür diskreditieren – wohlgemerkt, wir wollen nicht über Abschaffung von Grundrechten, der Verfassung oder des Staates verhandeln, wie manche besorgte Bürger, die gerade die CDU ernst nehmen will. Wir wollen nur über vernunftorientierte, wissenschaftsbasierte, effektive und friedliche Politik auf Grundlage der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sprechen! Wir wollen über eine Politik sprechen, die in ihren Anfängen jetzt gerade in einem deutschen Bundesland von einer Regierung konkret angekündigt wurde. Solche Gespräche können Sie doch nicht ernsthaft pauschal skandalisieren wollen?
Einladung
In diesem Sinne möchten wir auch mit Ihnen gern ins Gespräch kommen. Wir können uns gern über die Gefahren von Drogenkonsum, und Drogenpolitik unterhalten. Sehr gern würden wir uns mit Ihnen darüber unterhalten, welche Präventionsbemühungen es in Hamburg denn gibt, ob die ausreichen oder ob die nicht verbesserungswürdig sind, wie wir meinen. Vielleicht wären wir uns an dem Punkt ja sogar einig. Wir würden aber von Ihnen auch gern wissen, ob Sie es denn wirklich als hilfreich gegen Suchtgefahren erachten Konsumenten mit Freiheitsentzug zu bedrohen? Ob sie es, anders als der Rechtswissenschaftler Böllinger, für verfassungsrechtlich unbedenklich halten, Menschen, die niemals im Straßenverkehr auffällig geworden sind, die Fahrerlaubnis zu entziehen und damit nicht selten die berufliche Existenz zu vernichten? Und wem damit Ihrer Meinung nach geholfen ist, den anderen Verkehrsteilnehmern, die von dieser Person nie gefährdet wurden oder die Sucht gefährdeten Person, die sich in ihrer neu gewonnen Freizeit besser an Bier als an „Rauschgift“ halten sollte?
Wir hätten soviel mit Ihnen zu besprechen, liebe CDU, und würden uns auch über Gelegenheit zum Austausch mit Ihren Experten, wie Herrn Professor Thomasius und der Bundesdrogenbeauftragten Frau Mortler freuen. Das oben beschriebene Niveau würden wir aber gern hinter uns lassen und, sicher auch im Sinne von Frau Mortler, die sich ja über diese Form der Auseinandersetzung bitter beklagt hat, zur Sachlichkeit und zum konstruktiven Dialog zurückkehren. Wir sind gesprächsbereit. Sind Sie es auch?
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Gerhold
für den
Cannabis Social Club Hamburg e.V.