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Cannabis, Rassismus und Polizei

20. Juni 2020

Seit 2016 hat der Cannabis Social Club Hamburg einen Vortrag im Angebot, der erklärt, dass das Cannabisverbot rassistisch ist. Wir haben 2016, Anlässlich des Todes von Jaja Diabi, der im Alter von 21 Jahren am 19. Februar 2016 in der Haft gestorben ist, gemeinsam mit seinen Angehörigen und vielen Hamburger Organsisationen zu „Vernunft statt Gewalt“ aufgerufen. 2018 haben wir Recherchen unterstsützt und begleitet, die die rassistische Umsetzung des Cannabisverbots, auch und besonders in Hamburg, aufgezeigt haben. Der MDR, der den TV Beitrag beuftragt hatte, hat diesen kurzfristig aus dem Programm genommen und auch unser Vortrag stieß, wegen vermeintlicher Übertreibung  eher auf Ablehnung. Wir nehmen die aktuelle Debatte über Rassismus, insbesondere innerhalb und durch die Polizei aber noch einmal zum Anlass auf die Rolle von Drogen und den „War on Drugs“ hinzuweisen.

Was wir derzeit deutlich zur Kenntnis nehmen müssen, ist dass rassistisch motivierte Polizeigewalt kein lokales, nicht mal ein nationales Problem ist. Es hilft nicht das Problem zu leugnen, als ungerechtfertigten Generalverdacht abzutun und eine Unschuldsvermutung ins Feld zu führen. Uns liegt nicht daran die Polizeibehörden und ihre Mitarbeiter als Gesamtes anzuklagen oder zu beschuldigen.  Wir wollen aufzeigen wofür die Polizei – wie willig auch immer – missbraucht wird.

Was ist der „War on Drugs“?

Was bedeutet „War on Drugs“ überhaupt? Wer sind die Kriegsherren, wer die Gegner? Der Begriff wurde 1972 von Präsident Richard Nixon geprägt und steht heute für die Gesamtheit der weltweiten Repressionsmaßnahmen zur Durchsetzung der Prohibition, also der Drogenverbote. Aber ist es nur ein Schlagwort? Eine endlose Kampagne? Oder ist es ein echter Krieg?

US Anti Drogen Einsatz in Columbien

US Antidrogeneinsatz in Kolumbien

Hingerichtet wegen Drogen im IranHinrichtungen im Iran

Es ist ein Krieg. Seit 1972, seit fast fünfzig Jahren, weltweit. Mit echten Toten. Auch in Hamburg. Natürlich  ist es auch eine Kampagne, die man ehrlicherweise aber als Kriegspropaganda einordnen muss. Aber gegen wen wird der Krieg geführt? Gegen Schwarze und Linke!

„Die Nixon-Kampagne 1968, und danach das Weiße Haus unter Nixon, hatte zwei Feinde: die linken Kriegsgegner und schwarze Menschen. Verstehen Sie, was ich Ihnen sagen will? Wir wussten, dass wir es nicht illegal machen konnten, gegen den Krieg oder schwarz zu sein, aber indem wir die Öffentlichkeit dazu brachten, die Hippies mit Marihuana und die Schwarzen mit Heroin zu assoziieren, und beides streng kriminalisierten, konnten wir diese Bevölkerungsgruppen schwächen. Wir konnten ihre Anführer festnehmen, Razzien in ihren Häusern durchführen, ihre Treffen auflösen, und sie Abend für Abend in den Nachrichten diffamieren. Wussten wir, dass wir logen, was die Drogen anging? Natürlich wussten wir das.“

Sagt der Nixon-Berater John Ehrlichman, dem Journalisten Dan Baum in einem Interview, erschienen April 2016 im Harper’s Magazin „Legalize It All – How to win the war on drugs“

 

Entwicklung der Strafgefangenzahlen in den USA von 1925 – 2010.

Am 31.12.2008 sind

4.347 / 260 Schwarze
1.771 / 133 Latinos
678 / 91 Weiße

Tausend Männer / Frauen in Haft. Drogendelikte liegen nach Gewaltverbrechen und Eigentumsdelikten auf Rang drei.

 

Nach dem was uns Mr. Ehrlichman als Ziel erklärt hat, ist der „War on Drugs“ also keineswegs gescheitert. Im Gegenteil, er ist sehr erfolgreich. Nur nicht im Kampf gegen den Drogenkonsum.

Die Maßnahmen gegen Drogenkonsumenten und – „Dealer“ sind ein wesentlicher Grund dafür, dass die USA die mit Abstand weltweit höchste Rate an Inhaftierten im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung haben.

Obwohl der Konsum sich innerhalb gleicher sozialer Schichten bei Gruppen unterschiedlicher Hautfarbe kaum unterscheidet, sind die weitaus meisten Inhaftierten Afroamerikaner, gefolgt von Latinos. Ein Teil der Drogenprobleme in der schwarzen Bevölkerung wurde im Rahmen des FBI-Programmes COINTELPRO von den US-Behörden selbst verursacht. So wurde beispielsweise die Black Panther Party bekämpft, indem FBI-Agenten Drogen an Afroamerikaner lieferten, die zuvor überhaupt nichts damit zu tun hatten.

Überspringen wir ein paar Jahrzehnte und damit die Internationalisierung unter US Präsendent Ronald Reagan.

 

Drogen für weiße Cowboys vs „Marijuana“

Die US Drug Enforcement Agency (DEA) im internationalen Einsatz gegen Cannabis

Die Iran-Conta-Affaire

Den „War on Drugs“ in Afganistan

Kriegspropaganda: Weiße Opfer – Farbige Täter

Gegenwart – Deutschland, Hamburg

Nicht erst seit den #BLM Protesten geraten deutsche Polizeibehörden immer wieder in die Kritik wegen Racial Profilings. Aber was ist das überhaupt. Sind nun mal die meisten „Dealer“ schwarz und werden farbige Menschen deshalb anders und öfter kontrolliert? Oder ergeben sich aus einem verbreiteten latenten Rassismus innerhalb der Polizei immer wieder Einzelfälle?

„Wenn ich einen afrikanischen Dealer kontrolliere, kann der behaupten, er sei durch diese Kontrolle diskriminiert worden.“ lautet eine immer wieder gehörte Schutzbehauptung von Polizisten. Die Linie der Polizeigewerkschaften DPolG und GdP zu Vorwürfen von Rassismus und Racial Profiling ist simples und vehemtes Abstreiten.


Den Skandal um die rassistischen Kalender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) kommentierte ihr Vorsitzender Rainer Wendt mit Unverständnis: „In Zusammenhang mit diesem Kalender auf das Thema Alltagsrassismus zu kommen, ist völlig absurd“, sagte er 2012. „Das ist ein Kalender, der in humoristischer Weise den Sprachgebrauch und Alltag von Polizistinnen und Polizisten karikiert.“

2020 sieht Rainer Wendt in der aktuellen Debatte immer noch keinen Anlass sich mit Rassismus innerhalb der Polizei zu beschäftigen: Es gebe „in der Polizei „erheblich weniger“ Rassismus als in der Gesamtbevölkerung, und deshalb auch keinen Bedarf für unabhängige Beschwerdestellen. Auch der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Dietmar Schilff ist empört über die Annahme es könne Rassismus innerhalb der Polizei geben und nennt den Vorwurf populistisch.

Racial Profilig – Dynamitfischen im Aquarium

Der Journalist Tobias Wilke beschreibt die Methode als Dynamitfischen im Aquarium: „Sogenannte „Komplexkontrollen“ der Polizei, im Volksmund „Drogenrazzien“ an Bahnhöfen oder in Parks, sind damit durchaus zu vergleichen. […] Die Polizei umstellt einen Platz oder eine Gruppe von Menschen und kontrolliert einzelne oder alle Personen. Haben diese zufällig auch nur eine Kleinstmenge Drogen (sogenannte „Anhaftungen“) dabei, stellen die Beamt*innen eine Straftat fest und die Besitzer*innen dieser Drogen sind automatisch die dazu gehörigen Tatverdächtigen: Fall gelöst! Kontrollierte Personen, bei denen keine Straftat „gefunden“ wurde, tauchen in der Statistik nicht auf. Ein behutsames Vorgehen ist somit vollkommen unnötig.“

So zaubert man sich „Erfolge“ in die Kriminalstatistiken und kann gleichzeitig eine erhöhte Gefahrenlage, sowie steigende Konsumentenzahlen nachweisen, womit sich eine Fortführung selbst rechtfertigt. Drogenverbote, insbesondere das Cannabisverbot ist die Lizenz zum Dynamitfischen, schwarze „Dealer“ das erklärte Ziel, die (hier) überwiegend weißen Konsumenten deren erklärte Opfer und ergänzender Beifang.

Die Zuordnung wer bei einer solchen Kontrolle als „Dealer“ und wer als „Konsument“ behandelt wird, beruht in der Regel auf „Erfahrungswerten“ und korrelliert nicht mit der Menge die bei einer kontrollierten Person gefunden wird.

In der Regel kann von den kleinen Mengen die bei solchen Kontrollen gefunden werden, nur das Geringste Personen zugeordnet werden. Da kann man Glück haben und ein halbes Gramm Cannabis wird schon von der Polizei als eindeutiger Eigenbedarf eingeordnet, man darf vergleichsweise schnell nach Aufnahme der Personalien gehen und bekommt später Post von der Staatsanwaltschaft, dass gegen Zahlung eines Strafgeldes von einem Strafverfahren abgesehen wird. Wahrscheinlich bekommt man noch Post von der Führerscheinstelle, auch wenn  man am Bahnhof und nüchtern kontrolliert wurde.

Man kann aber auch Pech haben und dem halben Gramm, das man bei sich hatte, werden noch zehn weitere aufgeschlagen, die in der Nähe gefunden wurden. Jetzt ist man verdächtig ein „Dealer“ zu sein, alles Geld das man bei sich hat, könnte „Dealgeld“ sein und wird eingezogen, das Handy könnte Beweismittel bergen und wird beschlagnahmt. Und wenn kein deutscher Ausweiß vorgelegt werden kann, ist man mit einem halben Gramm Cannabis auch schnell im Untersuchungsgefängnis.

Mehr noch als Pech, führt dazu allerdings eine dunkle Haut. Die Polizei nennt es Erfahrungswerte.

Schwarze Dealer – weiße Opfer

So wie Nixen den Krieg vor Jahrzehnten gegen Schwarze und Linke begann, wird er auch in Deutschland und in Hamburg bis heute fortgeführt. und immer wieder angeheizt von Hardlinern wie Scholz (Brechmittel), Schill („Richter Gnadenlos“) und Grote („Keine Polizeigewalt“-G20). Unterschiede zwischen verschiedenen Regierungen und beteiligten Parteien sind programatisch kaum, und in der Praxis gar nicht zu erkennen.

„Dabei sind deutsche Tatverdächtige auch im Bereich „Handel und Schmuggel“ mit 65,8% deutlich in der Mehrheit. Wenn Polizei, Presse und Medien also einen „Afrikaner“ (oder Syrer, Iraker etc.) pauschal „Dealer“ nennen, obwohl ihm die Polizei nur ein Delikt nachweisen konnte, bei dem das Verfahren von den meisten Staatsanwaltschaften laut entsprechenden Weisungen aus den Justizministerien eingestellt werden soll, liegt etwas gewaltig im Argen.“ schreibt Wilke im selben Artikel im Volksverpetzer.

War on Drugs is War on Us

Der „War on Drugs“ ist also kein Krieg gegen Drogen und genausowenig geht es bei Drogengroßkontrollen um Drogen. In Hamburg gibt man sich hanseatisch Bescheiden und nennt nur noch die Verhinderung der Sichtbarkeit des Drogenhandels als Ziel der dafür eigens geschaffenen Task Force, weil man den Handel eh nicht unterbinden könne. Aber selbst dieses Eingeständnis der Polizei führt nicht dazu, dass der Krieg  eingestellt wird. Natürlich nicht. Weil es nicht um Drogen geht, sondern um Kontrolle und Vorherrschaft. Gegen Schwarze und Linke. Gegen uns.

Es gibt also viele gute Gründe Cannabis zu legalisieren. Der Polizei die Lizenz zum rassistischen Dynamitfischen zu entziehen ist ein wichtiger Grund.  Den „War on Drugs“ endlich zu beenden, bedeutet mehr als nur anzuerkennen, dass auch Menschen die anders genießen als andere, ebenfalls Bürgerrechte haben. Diesen Krieg zu beenden bedeutet dem systematischen, staatlichen Rassismus eine seiner zerstörerischsten Waffen zu nehmen.

Polizei stürmt ein Wohnprojekt auf St.Pauli, in das sich Monate zuvor „Dealer“ geflüchtet haben sollen.

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Author

Andreas Gerhold

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