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Generalverdacht Cannabis – Kriminalisierung von Cannabis Patienten – Teil 1

23. Juni 2020

Kriminalisierung von Cannabis Patienten Teil 1

Generalverdacht Cannabis

Matthias leidet seit seiner Kindheit an Fibromylgie, eine nicht heilbare Erkrankung. Menschen mit Fibromyalgie haben eine Vielzahl von Beschwerden. Alle Betroffenen leiden unter ständigen Schmerzen, die in verschiedenen Körperregionen auftreten, vor allem aber  an  Muskelschmerzen und Muskelschwäche, sowie Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule und rund um die Gelenke.

Ohne regelmäßige Schmerzmittel kann Matthias sich nur schwer bewegen. Jede Bewegung schmerzt. Früher bekam er als Schmerzmittel Opiate. Seit der Gesetzesänderung 2017, die die Verschreibung von Cannabis regelt und die Krankenkassen zur Kostenübernahme verpflichtet, konnte er diese absetzen und bekommt nun Cannabis verschrieben.

Foto: Steffen Geyer

Matthias engagiert sich für die Rechte von Cannabis Nutzern. Foto: Steffen Geyer

Was „schon immer“ schlecht war kann nicht gut sein

Bis heute ist allerdings die Versorgungslage schlecht und der Widerstand an vielen Stellen erheblich. Viele Ärtzte wollen kein Cannabis verschreiben, selbst wenn sie die Medikation oder zumindest einen Versuch mit Cannabis für sinnvoll erachten. Zum Beispiel weil sie befürchten von Kollegen gedisst zu werden. Oft weil es in der Klinik oder der Gemeinschaftspraxis eine generelle Anweisung gibt kein Cannabis zu verschreiben oder weil sie befürchten mit einem Schlag zu viele Cannabis Patienten zu haben und damit auffällig zu werden. Viele reden sich raus und behaupten sie dürften kein Cannabis verschreiben. Manche beschimpfen ihre Patienten wenn sie nach Cannabis fragen und werfen sie aus der Praxis.

Krankenkassen fahren überwiegend eine Verschleppungs- und Verweigerungsstrategie und übernehmen die Kosten erst nach langwierigen Verfahren, oft erst durch Gerichte gezwungen. Bis dahin sind Patienten darauf angewiesen, wenn sie es sich denn leisten können, sich Privatrezepte austellen zu lassen und ihre Medikamente zunächst selbst in der Apotheke zu bezahlen. Wenn ein Patient dann vor Gericht die Kostenübernahme erstritten hat, werden die Auslagen in der Regel auch erstattet. Wer sich die Apothekenpreise nicht leisten kann, versorgt sich auf dem billigeren Schwarzmarkt.

Inzwischen haben sich viele Apotheken auf Cannabis eingestellt. Trotzdem ist es immer noch schwer für Cannabis Patienten eine Apotheke zu finden, die ihrer Verpflichtung Cannabis Rezepte einzulösen nachkommt. Die nächstgelegene Apotheke ist das eher selten. Hinzu kommen Lieferengpässe.

Der Ruch der gefährlichen Droge, der über Jahrzehnte genährte und bis heute und bis ins absurdeste gesteigerte „Info War on Drugs“ führt gegenüber Cannabis Patienten zum Generalverdacht des Missbrauchs.

Achtung Kontrolle

So war Matthias am 06. September 2018 gezwungen von Berlin nach Hamburg zu fahren, um in Heimfeld in einer der bundesweit wenigen Apotheken die regelmäßig Cannabis vorrätig hatten, sein Privatrezept einzulösen und zu bezahlen. Dafür hatte er zuvor einen Termin mit der Apotheke vereinbart. Nach dreieinhalb Stunden im Linienbus, musste er dafür vom ZOB ein paar Schritte zum Hauptbahnhof gehen, um die S-Bahn nach Heimfeld zu nehmen. Endlich Gelegenheit sein verordnetes Cannabis gegen die Schmerzen zu nehmen.

Als Berliner konnte er nicht wissen, dass er nur wenige Schritte abseits seines Weges einen weitgehend tolerierten illegalen Drogenmarkt gefunden hätte, an dem er sein legales Medikament, seinen Joint hätte konsumieren können, ohne von der Polizei darauf angesprochen zu werden. Dafür hätte er allerdings in Kauf nehmen müssen, dass ihm während seiner Medikamenteneinnahme alles Mögliche an Medikamenten und Drogen anbeboten worden wäre und er sich im Zweifelsfall hätte fragen lassen müssen, was er auf dem illegalen Markt überhaupt zu suchen hatte. Denn der dortige Konsumraum ist den sogenannten harten Drogen vorbehalten. Dort ist weder der Konsum eines illegalen, noch eines ärztlich verordneten Joints möglich.

Genauso wenig konnte er wissen, dass die Polizei aber genau den Bereich in dem er sich bewegte, clean halten will und er sich in einer zero-tolerance Zone bewegte. Ein Irrtum war es offensichtlich anzunehmen, dass die Hamburger Polizei, eineinhalb Jahre nach einer für ihre Arbeit wesentlichen Gesetzesänderung, eine Dienstanweisung für den Umgang mit Cannabis Patienten hat. Ein riesen Irrtum wäre es anzunehmen, dass der reine Konsum von Cannabis kein hinreichender Verdacht für eine Straftat mehr sein kann, wenn immer mehr Menschen dies auf ärztliche Verordnung tun.

So war die Kontrolle also vorprogrammiert. Und natürlich hat Matthias, der auch Cannabis Aktivist und Mitglied im Berliner Cannabis Social Club ist, auch mit einer Kontrolle gerechnet. Deshalb war er auch vorbereitet und hatte nicht nur sein aktuelles Rezept das er in Hamburg einlösen wollte dabei, sondern zusätzlich eine Kopie seines bereits früher eingelösten Rezeptes und ein Schreiben seines Artzes. Dies ist – nur für Cannabis Patienten – trauriger Standard der Beweislastumkehr. Nicht die Polizei muss einen hinreichenden Verdacht oder gar Beweise für illegales Handeln haben, der Patient muss beweisen, dass er legal handelt. Matthias hat also seinen Personalausweis, seine Rezepte und eine ärztliche Bestätigung griffbereit.

Trotzdem steht Matthias nun am 07. Juli 2020 in Hamburg vor Gericht. Er muss sich wegen „Tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte“ verantworten und ihm drohen drei Monate bis zu fünf Jahren Haft.

§ 114 StGB

Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte

(1) Wer einen Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei einer Diensthandlung tätlich angreift, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

Was ist passiert?

Was Matthias vorgeworfen wird und was ihm nun blühen könnte, ist schnell kopiert.

Junky im Drogenwahn?

Matthias hat sich also, einfach so, bei einer freundlichen Kontrolle aufgrund der Einnahme seines Medikaments, anstatt einfach freundlich sein Rezept und seinen Ausweis vorzuzeigen, vier uniformierten Polizeibeamten widersetzt, sie sogar angegriffen, sodass er niedergerungen und in Handschellen abgeführt werden musste. Ein Beamter hat sich dabei eine blutige Nagebettverletzung zugezogen!

Ist das also doch die „Bittere Wahreheit über das Kiffen“ wie nicht nur „Bild“ verbreitet? Macht kiffen aggressiv? Gibt dazu immerhin eine Studie, sogar alle paar Jahre wieder. Und eine „vorsätzliche Misshandlung“ durch Nagelbettverletzung – wer macht denn sowas?! Ist das ist die neue Welle der Gewalt gegen Polizisten, seit Einführung des § 114 StGB?

Oder war Matthias, der zuvor etwa drei Stunden im Bus von Berlin auf dem Weg zu seiner Hamburger Apotheke war, auf Haschentzug und dadurch so aggressiv, dass er es vorzog sich niederringen zu lassen und sich lieber eine Prellung am rechten Daumen,  eine Halsprellung, sowie Schürfwunden an beiden Knien und am Kopf, riskierte, wie am nächsten Tag diagnostiziert wurde, statt einfach sein Rezept und seinen Ausweis zu zeigen? Und wirkt Cannabis wirklich solche Wunder, dass Matthias so schmerzfrei und beweglich war, dass es vier Beamter bedurfte, um ihm Handschellen anzulegen? Oder wollte er es im Drogenwahn einfach wissen und hat geglaubt er könne die Polizisten niederringen und hat sie angriffen? Oder macht Kiffen so vergesslich, dass er vessen hatte, dass er ja ein Rezept und ein Schreiben seines Arztes bei sich hat und nichts zu befürchten braucht?

Viele Fragen, die letztlich das Gericht zu klären hat.

Was Matthias erlebt hat, lest ihr in Teil 2 unserer Artikelserie Kriminalisierung von Cannabis Patienten.

Wir lassen Matthias nicht allein!

Merkt euch den Termin. Publikum, das Interesse an dem Fall dokumentiert, ist erwünscht:

Dienstag 07.07.2020 – 13:00h
Amtsgericht Hamburg St.Georg
Lübekertordamm 4
Sitzungssaal 1.01, 1. Stock

Presse- Und Kontaktanfragen gern an presse@cschh.de

Petition gegen Kriminalierung von Cannabis Patienten

Bis dahin schaut euch bitte diese Petition gegen die Kriminalisierung von Cannabis Patienten von  Dr. Grotenhermen und der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin an, zeichnet und verbreitet sie.

Demnächst:

Teil 2:  Achtung Kontrolle – Wie Cannabispatienten die Polizei erleben

Schickt uns gern noch eurer Erfahrungen

Teil 3: Hier spricht die Polizei – Wer ist verdächtig?

Wir haben Fragen und wollen auch die Polizei verstehen.

Teil 4: Der Prozess – Wer ist Täter?

Wir werden über den Prozess gegen Matthias berichten.

Teil 5: Schluss – Endlich

In einer Schlussbetrachtung wollen wir ein Fazit ziehen und uns an konkreten Änderungsvorschlägen versuchen.

 

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Author

Andreas Gerhold

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