Verkauf von Samen nicht wirklich verboten aber …
Nach zwei Jahren begann heute vor dem Hamburger Amtsgericht der Strafprozess gegen Nicky Wichmann, inzwischen zweite Vorsitzende des Cannabis Social Club Hamburg. Der Vorwurf lautet „Gewerbsmäßiger Handel mit Betäubungsmitteln“ Die Inhaberin des Amsterdam-Headshops hatte 2013 auf der Reeperbahn den ersten deutschen Laden für Samen zum Anbau von medizinischem Cannabis eröffnet. An vier Automaten konnten Cannabispatienten mit entsprechenden Ausnahmegenehmigungen aus 250 Sorten wählen.
Die Mediseed GmbH wurde zuvor ordentlich im Handelsregister eingetragen mit dem Geschäftszweck „Handel mit Cannabis-Samen in den Mitgliedsländern der Europäischen Union, ausgenommen zum unerlaubten Anbau“. Der Handel mit Cannabissamen ist in Deutschland nicht verboten – „sofern nicht zum unerlaubten Anbau bestimmt“. Diese Einschränkung wurde erst 1998 in die Anlage 1 des Betäubungsmittelgesetzes aufgenommen. So brauchte die Staatsanwaltschaft nach Eröffnung auch volle 11 Tage um zu prüfen, ob sie diesen Handel für legal hält oder nicht, bevor die Polizei in schusssicheren Westen einfiel, Laden und Wohnung durchsuchte und die Automaten samt Ware, Computer, Festplatten und Geschäftsunterlagen beschlagnahmte.
Lange Anklage – komplexe Materie
Die heutige Verhandlung war die Erste von nur zwei angesetzten Prozesstagen, wohl auch, weil alle Beteiligten, unabhängig davon wie das Hamburger Amtsgericht entscheidet, davon ausgehen, dass das Verfahren über mehrere Instanzen gehen wird. Allerdings war bei der Anklageverlesung fast zu befürchten, dass die allein zwei Tage dauern könnte, da die Staatsanwältin sich anschickte jede der 250 angebotenen Sorten einzelnen aufzuzählen und wie viele Tütchen, mit wieviel Samen, zu welchem Preis, in welchem Automaten, in welchen Fach gefunden wurde. Die Anwälte verzichteten dann aber auf eine vollständige Aufzählung.
Vertreten wird Nicky Wichmann von den Anwälten Uwe Maeffert und Horst Wesemann. Ernst Medecke vertritt die Mediseed GmbH und eine weitere Anwältin die spanische Trendshop Trading, die in Spanien auf Rückgabe, der dort zweifelsfrei legalen Kommissionsware klagt. Die Anwälte griffen vor allem die gesetzliche Grundlage an und beantragten, mit insgesamt drei Anträgen und unterschiedlichen Begründungen die Aussetzung des Verfahrens, um das Verfahren in Spanien abzuwarten, bzw. um die Angelegenheit dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen.
Klärung durch das Bundesverfassungsgericht angestrebt
Nach Ansicht der Anwälte muss hier eine Klärung durch das Bundeverfassungsgericht stattfinden, unter anderem, weil der Gesetzgeber 1998 noch von anderen Voraussetzungen ausgehen musste, so wie auch das Bundesverfassungsgericht 1995 von einer „noch nicht ausreichenden Forschungslage“ ausging. Die Situation hat sich seit dem aber verändert, so gab es 2013 bereits Cannabispatienten, die sich eine Anbauerlaubnis gerichtlich erstritten hatten, so dass man zum Zeitpunkt der Ladeneröffnung, anders als 1998, nicht davon ausgehen kann, dass Samen für THC-haltige Pflanzen immer einem verbotenem Anbau dienen. So wurde auch beantragt, dass die Scheinkäufe der Polizei aus den Beweisen genommen werden, da die Polizei Cannabisanbau betreiben darf und das auch macht. Außerdem sei die Vorschrift, da sie nicht im Gesetz selbst, sondern in einer Anlage steht für Bürger nicht unbedingt erkennbar – selbst die Staatsanwaltschaft habe dafür schließlich 11 Tage gebraucht – und die Angeklagte habe auf die Notwendigkeit einer Ausnahmegenehmigung hingewiesen, die Kontrolle sei nicht ihre Aufgabe.
Die Anwälte betonten auch die Schädlichkeit und aus ihrer Sicht Verfassungswidrigkeit der Prohibition. In diesem Zusammenhang wurde noch ein kriminologisches Gutachten gefordert, welches prüfen soll, ob die Begründung Cannabis sei, im Gegensatz zu dem gefährlicheren Alkohol, „kulturfremd“ und falle deshalb nicht unter den Gleichbehandlungsgrundsatz, noch stimmt. Wesemann rechnete vor, dass in Deutschland täglich etwa fünf Tonnen Cannabisprodukte konsumiert würden und bezweifelte, dass man das „kulurfremd“ nennen könne. Als Gutachter wurden Professor Böllinger, der die Resolution der 122 Strafrechtsprofessoren gegen Prohibition angestoßen hatte, und Professor Scheerer, ebenfalls Zeichner der Resolution, vorgeschlagen. Über die Anträge wird noch entschieden.
Nicky Wichmann ist nach dem heutigen Tag guter Dinge: „Das ist heute gut gelaufen und auch wenn die erste Instanz kein zufriedenstellendes Ergebnis bringen sollte, werde ich weiter kämpfen. Wenn es nötig wird ziehe ich bis vor den eurpäischen Gerichtshof. Es kann doch nicht sein, dass europäische Firmen hier werben und über das Internet verkaufen dürfen, während ich als Geschäftfrau für das Gleiche bestraft werden soll.“
Der zweite Verhandlungstag ist der kommende Dienstag, 17.11.2015, Amtsgericht Hamburg, Saal 219